Donnerstag, Dezember 07, 2006

Auf dem Feld

Laut und schrill kräht der Hahn. „Ruhe, Ruhe!“ ertönen aufgebrachte Stimmen aus allen Ecken unter der Erde. Ein neuer Tag ist angebrochen. Wie jeden Morgen streckt sich Willibald ausgiebig in seinem Bett und gähnt laut. Wie gerne würde er noch etwas länger liegen bleiben und die Wärme unter der Decke geniessen. Er dreht den Fensterknauf und öffnet das runde Fenster einen Spalt weit. Willibald streckt seine Nase in die frische Luft, ein frischer Wind weht. Auf! Das Tageswerk wartet!

Nachdem Willibald seine olivgrüne Weste übergestülpt und seine braunen Hosen angezogen hat, frühstückt er ausgiebig Toast. Toast mit Butter und Marmelade, ein gekochtes Ei und eine Tasse Kräutertee. Seine Heugabel wartet angelehnt an der Eingangstür. Mit grosser Anstrengung hebt Willibald die schwere Heugabel auf seine Schulter, schliesst die Türe hinter sich zu und macht sich auf den Weg zum Feld.

„Pi-rè rè rè, Zii-zuiii, zizi-zuiii“ begrüsst ihn eine fröhliche Stimme. Ein kleiner gelber Vogel hüpft neben ihm den Feldweg entlang. Doch auf seinem hastigen Marsch bemerkt Willibald ihn nicht.

„Hohohoho!
Schaut wer da eilt,
der kleine Floh!
Hohohoho!

In was für ein Unglück,
wird heut er wohl tappen?
Hohohoho!“

Willibald blickt in ein runzliges, grinsendes Gesicht. Wie ein stämmiger Baum steht Alfons breitspurig auf dem Weg. Vor lauter Schrecken stolpert Willibald über seine Heugabel, fällt hin und purzelt die steile Böschung hinunter. Wie eine kleine Kugel mit schwingenden Armen und Beinen verschwindet er im hohen Gras, eine schmale Spur hinterlassend.
„Hihihi! Hahaha! Hohoo!“ Gelächter erklingt von allen Seiten.
„Schaut hin! Seht ihr’s? Er ist doch immer derselbe. So ungeschickt kann doch nur Willibald sein!“ krächzt eine Stimme.
„Hahaha! „Welch ein Tolpatsch dieser Willibald doch ist!“ bestätigt eine andere. „Kommt, wir haben schon zu viel Zeit verschwendet! Das schöne Wetter dauert nicht ewig! Bringen wir das Heu in die Scheune!“

Bald darauf erscheint Willibald keuchend und zerzaust auf dem Feld. „Na, hast du deinen Ausflug genossen?!“ Fragt Alfons. Am liebsten hätte sich Willibald in die Erde verkrochen. „Komm, zusammenrechen ist einfacher für dich. Du kannst ja die Heugabel nicht einmal tragen!“ Schweigend nimmt Willibald den langen, schweren Rechen und beginnt, das herumliegende Heu zusammenzutragen. Es geht nur langsam voran. Die Sonne sticht vom Himmel herab.

Als Willibald zurückschaut, zieht er nur trockene Erde hinter sich her. Einmal vernimmt er ein schrilles Piepsen. Schnell befreit er die verängstigte Feldmaus, die sich in seinem Rechen verfangen hat. Als Dank schupst sie Willibalds Schuh sanft mit der Nase, dann verschwindet sie rasch in ihrem Bau.

Die Arbeiter stimmen gemeinsam in ein Lied:

Säen, mähen, pflügen, rechen,
unsr’e Frau’n zu Hause flechten.

Spass macht die Arbeit auf Hügel und Feld,
nur keine Sorge, wir brauchen kein Geld!

Nun packet alle kräftig an,
die Arbeit ist schon fast getan!

Hau Ruck! Hau Ruck! Alles auf den Wagen,
nur wir, nur wir haben hier das Sagen!

Wir sind gute Landarbeiter,
fleissig, fröhlich, immer heiter.

Nun packet alle kräftig an,
die Arbeit ist schon fast getan!


„Hoo-hop! Alles muss auf den Wagen! Eins, zwei, drei!“ Schnell wird das Heu aufgeladen. Alle packen kräftig mit an! Alle? Nein, die Nase von Willibald reicht gerade über die hölzernen Räder des Ziehkarrens. Was sollte er hier helfen können? Nach getaner Arbeit schwingen sich alle auf das geladene Heu. Der Esel wird eingespannt und die Peitsche schwirrt durch die Luft. „Hüü hott, kleines Grautier. Du magst unsere Last doch ziehen? Schneller, schneller…“
Hören wir mal genauer hin: Von weitem vernehmen wir ein leises „Trip trap, trip trap“. Ach, kleiner Willibald, wo bleibst du nur? Nicht einmal auf den Wagen konntest du dich setzen!

Langsam senkt sich die glühende Sonne unter den Horizont. Dunkle Wolken ziehen auf. „Kommt, schnell nach Hause!“